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Blog 28: Oktober 2023

StPO von A-Z: Zwangsmassnahmen – Zulässigkeit und Einschränkungen

Die Schweizerische Strafprozessordnung wurde am 5. Oktober 2007 vom Parlament beschlossen. Sie trat 1. Januar 2011 in Kraft. Sie stellt den Strafverfolgungsbehörden wirksame Mittel zur Suche nach Tatsachen oder nach Personen zur Verfügung. Weil sie in die verfassungsmässig garantierten Freiheitsrechte eingreifen, sind nur jene zulässig, die im Gesetz vorgesehen sind.

Dieser Beitrag beschreibt die nach der StPO zulässigen Zwangsmassnahmen.

 

Der Zweck von Zwangsmassnahmen:

Aufgabe der Strafbehörden in einem Strafverfahren ist die Ermittlung aller für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen (Art. 6 StPO). Um das unter Umständen auch gegen den Widerstand eines Tatverdächtigen oder von Dritten zu erreichen, stellt das Gesetz den Strafverfolgungsbehörden Zwangsmassnahmen zur Verfügung.

Solche Zwangsmassnahmen waren im Entwurf des Bundesrates im 5. Titel «Zwangsmassnahmen» mit den Artikeln 193 ff vorgesehen [1]. Im schliesslich verabschiedeten Gesetzestext blieben sie im 5. Titel, jedoch beginnt die Nummerierung mit Art. 196 StPO.

In Ziffer 2.5.1.1. erklärt der Bundesrat in seiner Botschaft den Begriff Zwangsmassnahmen wie folgt: «Eine strafprozessuale Zwangsmassnahme ist dadurch definiert, dass sie in Grundrechte der Betroffenen eingreift.» [2] Ihr Zweck ergab sich aus Art. 193 des Entwurfs des Bundesrates [3] und bestand darin, Beweise zu sichern, die Anwesenheit von Personen im Verfahren sicherzustellen oder die Vollstreckbarkeit des Endentscheides zu gewährleisten.

Der Bundesrat präzisierte: «Zwangsmassnahmen setzen somit nicht notwendigerweise voraus, dass ein gegen die Massnahme gerichteter Widerstand zu brechen ist; entscheidend ist die Qualität der Massnahme als Eingriff in verfassungsmässige Rechte.» [4].

Zwangsmassnahmen sind also immer Eingriffe in verfassungsmässig garantierte Rechte. Solche Eingriffe sind möglich. Der Bundesrat umschrieb in seiner Botschaft die Voraussetzungen dafür: «Weil sie in Grundrechte eingreifen, sind Zwangsmassnahmen bereits von Verfassungs wegen nur unter bestimmten Voraussetzungen zulässig. Gemäss Artikel 36 BV müssen Grundrechtseingriffe auf einer gesetzlichen Grundlage beruhen, im öffentlichen Interesse liegen, verhältnismässig sein, und sie dürfen den Kerngehalt der Grundrechte nicht tangieren.» [5].

Die detaillierte Auflistung der einzelnen Zwangsmassnahmen in der StPO bildet die für eine Einschränkung der mit Zwangsmassnahmen verbundenen Rechte die nach der Bundesverfassung nötige gesetzliche Grundlagen. Erlaubt sind nur jene Zwangsmassnahmen, die eine Grundlage in der Strafprozessordnung oder in einem anderen Gesetz des Bundes oder der Kantone haben. Die rechtliche Bedeutung der in der StPO aufgelisteten Zwangsmassnahmen ist daher kaum zu überschätzen.

 

Der einzelnen Zwangsmassnahmen nach der StPO:

Der Bundesrat erläuterte die einzelnen Zwangsmassnahmen detailliert. Zu den Zwangsmassnahmen zählen in der Reihenfolge der Erläuterungen in der Botschaft [6] und unter Nennung der Artikel des Entwurfs [7] sowie der Artikel des aktuellen Gesetzes:

Vorladung (Art. 199–204 Entwurf) / Art. 201 ff. StPO: Die Vorladung wird zu den Zwangsmassnahmen gerechnet, weil ihre Nichtbefolgung die Überbindung von Kosten, die Ausfällung von Bussen, und in letzter Konsequenz die polizeiliche Vorführung zur Folge haben kann (vgl. Art. 10 BV).

Polizeiliche Vorführung (Art. 205–207 Entwurf) / Art. 207 ff. StPO: Mit der polizeilichen Vorführung wird jenen Personen, die vorgeführt werden, für eine beschränkte Zeit ihre Bewegungsfreiheit entzogen (vgl. Art. 10 BV).

Fahndung (Art. 208 und 209 Entwurf) / Art. 210 ff. StPO: Die Fahndung dient der Ermittlung des Aufenthaltsortes der davon betroffenen Person und / oder deren Verhaftung und Zuführung an die Strafbehörden. Dazu werden Informationen über diese Person an einen grösseren oder kleineren Personenkreis weitergegeben. Die Fahndung greift daher in verfassungsrechtlich geschützte Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ein (vgl. Art. 13 BV).

Polizeiliche Anhaltung (Art. 214 und 215 Entwurf) / Art. 215 ff. StPO: Mit der polizeilichen Anhaltung wird die davon betroffene Person zunächst daran gehindert, sich frei zu bewegen. Überdies kann sie auch gegen ihren Willen für eine Personenüberprüfung in eine Polizeistation gebracht werden, womit sie für eine beschränkte Zeit ihre Bewegungsfreiheit verlieren (vgl. Art. 10 BV).

Vorläufige Festnahme (Art. 216–218 Entwurf) / Art. 217 ff. StPO: Mit der vorläufigen Festnahme wird den davon betroffenen Personen die Bewegungsfreiheit für die Dauer der Festnahme entzogen (vgl. Art. 10 BV).

Untersuchungshaft (Art. 223–227 Entwurf) / Art. 224 ff. StPO: Untersuchungshaft nimmt den davon betroffenen Personen für einen Zeitraum bis maximal zum Ende der Untersuchung ihre Bewegungsfreiheit. Sie darf nur bei einem dringenden Tatverdacht sowie Flucht-, Verdunkelungs- oder Ausführungsgefahr angeordnet werden (vgl. Art. 10 BV)

Sicherheitshaft (Art. 228–232 Entwurf) / Art. 229 ff. StPO: Sicherheitshaft setzt nach Abschluss der Untersuchung ein. Sie entzieht den davon Betroffenen die Bewegungsfreiheit und dient dazu, den Vollzug einer möglichen Freiheitsstrafe sicherzustellen (vgl. Art. 10 BV).

Hausdurchsuchung (Art. 243 und 244 Entwurf) / Art. 244 ff. StPO: Die Hausdurchsuchung betrifft Häuser und Wohnungen sowie andere nicht allgemein zugängliche Räume. Diese dürfen auch gegen den Willen der Berechtigten betreten und dort nach Gegenständen, Vermögenwerten, Akten oder Datenträgern gesucht werden. Damit wird das Recht auf Respektierung des Privatlebens eingeschränkt (vgl. Art. 7, 13 und 14 BV).

Durchsuchung von Aufzeichnungen (Art. 245-247 Entwurf) / Art. 246 ff. StPO: Hier geht es um die Durchsuchung von Schriftstücken, Ton-, Bild und anderen Aufzeichnungen, Datenträger und Anlagen zur Verarbeitung und Speicherung von Informationen. Auch sie kann gegen den Willen der daran Berechtigten erfolgen (vgl. Art. 7, 13 und 14 BV).

Durchsuchung von Personen und von Gegenständen (Art. 243 und 249 Entwurf) / Art. 249 ff. StPO: Die Durchsuchung von Personen umfasst die Durchsuchung ihrer Kleider, ihrer Körperoberfläche und der einsehbaren Körperöffnungen und Körperhöhlen sowie der mitgeführten Gegenstände, Behältnisse und Fahrzeugen. Damit wird in die Privatsphäre der davon betroffenen Personen eingegriffen (vgl. Art. 10 und 13 BV).

Untersuchungen des Körpers (Art. 250 und 251 Entwurf) / Art. 251 ff. StPO: Im Rahmen der parlamentarischen Beratungen wurde der Titel in «Untersuchungen von Personen» geändert. Damit wurde klargestellt: Es geht um Untersuchungen des körperlichen oder geistigen Zustandes des Beschuldigten. Mit diesen Untersuchungen wird in die körperliche Integrität der betroffenen Personen eingegriffen. Die dabei erstellten Berichte greifen überdies in die Privatsphäre ein (vgl. Art. 7 und 10 BV).

Untersuchungen an Leichen (Art. 252 und 253 Entwurf) / Art. 253 ff. StPO: Bei diesen Untersuchungen geht es um die Klärung der Todesart und die Identifizierung eines Leichnams, allenfalls auch dessen Sicherstellung. Damit wird in die geschützte Sphäre des oder der Verstorbenen und ihren Angehörigen eingegriffen (Art. 7, 10, 13, eventuell 14 BV).

DNA-Analysen (Art. 254–258 Entwurf) / Art. 255 ff. StPO: Bei diesen Analysen geht es um die Entnahme einer Probe für eine und deren Auswertung durch Erstellung eines DNA-Profils. Der Eingriff selber wiegt nicht schwer, aber es werden Datenprofile erstellt und damit in die Persönlichkeitsrechte der davon betroffenen Personen eingegriffen. Das Gesetz erlaubt in Art. 256 StPO auch die Durchführung von Massenuntersuchungen, wozu allerdings eine Anordnung des Zwangsmassnahmengerichts nötig ist (vgl. Art. 10 und 13 BV).

Erkennungsdienstliche Erfassung, Schrift und Sprachproben (Art. 259-261 Entwurf) /Art. 260 ff. StPO: Bei dieser Massnahme werden Körpermerkmale einer Person festgestellt und Abdrücke von Körperteilen genommen oder Daten in Form von Schrift- oder Sprachproben gesammelt und ausgewertet (vgl. Art. 10 und 13 BV).

Beschlagnahme (Art. 262-267 Entwurf) /Art. 263 ff. StPO: Es geht um die Wegnahme von Gegenständen und die Blockierung von Vermögenswerten einer beschuldigten Person oder von Dritten. Diese Massnahmen greifen unter Umständen massiv in die Eigentumsrechte der davon betroffenen Personen ein (vgl. Art. 26 BV).

Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs (Art. 268-278 Entwurf) / Art. 269 ff. StPO: Die Staatsanwaltschaft kann bei der Aufklärung von im Gesetz abschliessend aufgelisteten Straftaten (vgl. Art. 269 Absatz 2 StPO) den Post und Fernmeldeverkehr überwachen. Dabei dürfen besondere technische Geräte und besondere Überwachungsprogramme eingesetzt werden. Nötig ist die Genehmigung des Zwangsmassnahmengerichts (vgl. Art. 13 BV).

Überwachung mit technischen Überwachungsgeräten (Art. 279 und 280 Entwurf) / Art. 280 ff. StPO: Es geht dabei um den Einsatz von technischen Überwachungsgeräten, die es erlauben, das nicht öffentlich gesprochene Wort abzuhören oder aufzuzeichnen oder Vorgänge an nicht öffentlichen oder allgemein zugänglichen Orte zu beobachten und aufzuzeichnen oder den Standort von Personen oder Sachen festzustellen (vgl. Art. 13 BV).

Observation (Art. 281 und 282 Entwurf) / Art. 282 ff. StPO: Diese Bestimmungen erlauben es der Staatsanwaltschaft oder der Polizei, von allgemein zugänglichen Orten aus Personen und Sachen zu beobachten und darüber Bild- oder Tonaufzeichnungen zu machen (vgl. Art. 13 BV).

Überwachung von Bankbeziehungen (Art. 283 und 284 Entwurf) / Art. 284 ff. StPO: Auf Antrag der Staatsanwaltschaft kann das Zwangsmassnahmengericht die Überwachung von Bankbeziehungen zwischen einer beschuldigten Person und einer Bank anordnen. Die Bank erhält eine schriftliche Anweisung über die Art der zu liefernden Daten oder Informationen und darüber, welche Geheimhaltungsmassnahmen zu treffen sind (vgl. Art. 13 BV).

Verdeckte Ermittlung (Art. 285–297 Entwurf) / Art. 285a ff. StPO: Diese liegt vor, wenn Angehörige der Polizei oder Personen, die vorübergehend für polizeiliche Aufgaben angestellt sind, unter Verwendung einer durch Urkunden abgesicherten falschen Identität durch täuschendes Verhalten zu Personen Kontakte knüpfen und versuchen ein Vertrauensverhältnis aufzubauen um schwere Straftaten aufzuklären (vgl. Art. 9, 10 und 13 BV).

Verdeckte Fahndung (in Kraft seit 1 Mai 2013) / Art. 298a StPO: Es geht hier um Angehörige der Polizei, die im Rahmen kurzer Einsätze z.B. Scheingeschäfte abschliessen oder den Willen zu erkennen geben, solche Geschäfte abzuschliessen. Dabei ist ihre wahre Identität oder Funktion nicht erkennbar (vgl. Art. 9, 10 und 13 BV).

 

Zusammenfassung:

Die in der StPO aufgelisteten Zwangsmassnahmen sind vielfältig und erstaunlich zahlreich. Mit dem technischen Fortschritt werden sie tendenziell ausgeweitet.

Zwangsmassnahmen beinhalten stets einen mehr oder weniger intensiven Eingriff in die verfassungsmässig geschützten Rechte der davon Betroffenen. Solche Eingriffe benötigen eine gesetzliche Grundlage und müssen verhältnismässig sein.

 

 

Zürich, 09. Juni 2023 / T. Gattlen

[1] BBl 2006 1389 Seite 1446
[2] BBl 2006 1389 Seite 1446
[3] BBl 2006 1389 Seite 1446
[4] BBl 2006 1085 Seite 1215
[5] BBl 2006 1085 Seite 1215
[6] BBl 2006 1085 Seiten 1217-1257
[7] BBl 2006 1389